DemosRedebeiträge

Solidarisch, unaufgefordert und queer gegen die „Demo für alle“

Dies ist der Redebeitrag, den SUQ am 20. Januar 2018 bei der Kundgebung der “Demo der Vielfalt und Liebe“ an der Frankfurter Hauptwache vorgetragen hat. Die Kundgebung und anschließende Demo richtete sich gegen die “Demo für alle”, die sich an diesem Tag in der Nähe von Frankfurt am Main zu einer Tagung getroffen hatte.

Plakat von "Demo der Vielfalt und Liebe", Januar 2018, fotografiert in Rödelheim
“Demo der Vielfalt und Liebe”, Januar 2018

Großartig, dass wir heute alle hier sind und gemeinsam solidarisch queer sind!

Nun versammeln sie sich also wieder. Sie versuchen mit rassistischen, trans- und homofeindlichen und antifeministischen Parolen, ihre Vorstellung von Familie als „Keimzelle der Nation“ zu verteidigen. Sie, die „Demo für alle“, sind eine fatale Mischung aus Klerikalen, Rechtsextremen und Konservativen. Sie versuchen Familie, Bildung und Erziehung als Kampffelder der Rechten zu etablieren.

Niemand glaubt, dass es sich bei dem Symposium um etwas wissenschaftliches handelt. Dort treffen sich nur Menschen, die ihre rechtskonservative und autoritäre Vorstellung von der “richtigen Familie” propagieren wollen.

Sie wollen, dass endlich “klare“ Geschlechterverhältnisse herrschen. Klarheit darin, dass alle, die nicht männlich sind, keinen Platz in der Öffentlichkeit haben. Endlich soll nur noch der Mann das Brot nach Hause bringen. Endlich eine homogene weiße Volksgemeinschaft geschaffen werden, endlich wieder nur die gute alte heterosexuelle Familie in der Lindenstraße auftreten – die gleiche Familie, in der statistisch die meiste Gewalt gegen Kinder stattfindet. Das funktioniert natürlich nur, wenn sich ausschließlich die „Richtigen“ fortpflanzen, wenn Mütter zu Hause bleiben und Gewalt- und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Familie ignoriert werden. All die „Perversen“, „Sozialschmarotzer_innen“ und anderen „Anderen“ sollen endlich verschwinden.

Warmspringen am SUQ-Transpi vor der Demo

Die „Demo für alle“, ihre AkteurInnen und AnhängerInnen sind rassistisch, heterosexistisch und homofeindlich. Die Utopie der „Demo für alle“ ist unsere Dystopie: einer elitären, rassistischen Gesellschaft. Diese Horrorvorstellung werden wir nicht zulassen. Weder heute noch in Zukunft!

Die „Ehe für Alle“ ist nicht ihr einziges Thema. Diese reaktionäre und konservative Bewegung eint sich vor allem bei den Themen Bildung und Schule. In Wiesbaden haben wir uns ihnen in den letzten zwei Jahren erfolgreich entgegen gestellt: als sie den hessischen Lehrplan und eine Sexualpädagogik der Vielfalt ins Visier nahmen.

Bildung ist aber mehr als ein Anlass, bei dem sie gut polemisieren können. Schule ist der Ort, in dem wir rechnen und schreiben lernen. Vor allem aber lernen wir in ihr, Teil dieser Gesellschaft zu sein: Wir lernen, die ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln zu beachten. Wir lernen, den Platz in der Gesellschaft zu wollen, den wir später in ihr einnehmen sollen. Wir üben 35 Stunden die Woche pünktlich zu sein, lernen, keine Widerrede zu geben, Grenzen in Karten zu zeichnen und uns auf unsere Rollen in diesem Staat vorzubereiten. Menschen sollten nicht lernen, dass nur das „Normale“ wichtig genug ist, um in der Schule Beachtung zu finden; dass nur die Person, die vorne steht, bestimmt, was richtig und falsch ist.  Aber genau das passiert in Schulen jeden Tag! Schule ist nicht unabhängig von Gesellschaft und ihren Herrschaftsverhältnissen. Wir dürfen ihnen deswegen, weder die Straße noch die Bildung überlassen.

Der sogenannten “Demo für alle” gehen schon die kleinsten Veränderungen dessen, was in der Schule als normal gilt, zu weit. Genau wie die Anerkennung von Beziehungsformen außerhalb der heterosexuellen Kleinfamilie. In ihrer Argumentation beziehen sich die ProtagonistInnen dabei auf ihr angebliches Recht auf Elternschaft. Als Eltern wollen sie allein über die Köpfe und Körper ihrer Kinder entscheiden. Das gilt natürlich nur für „richtige Eltern“. Sie kennen deshalb auch keine selbstbestimmten Schüler_innen, sondern nur formbare Abbilder ihrer selbst. In der Familie – und zwar dort und nur dort – soll die richtige Erziehung stattfinden. Sie vermischen pädagogische Allmachtsfantasien mit der Vorstellung, dass Kinder ihren Eltern „gehörten“.

SUQ-Transpi während der Demo
SUQ-Transpi während der Demo

Dabei hört man neben der angeblichen „Frühsexualisierung“ vor allem eine Befürchtung aus rechter und konservativer Ecke: Kinder und Jugendliche könnten zu einem perversen Lebensstil verführt werden – sei es durch einen Sexualkundeunterricht, der geschlechtliche und sexuelle Vielfalt aufzeigt oder andere Familienmodellen kennt als Vater-Mutter-Kind.

Vielfalt entfacht ihren Zorn. Sie wollen, dass Schule und Gesellschaft weiter stigmatisiert und höchstens voyeuristisch den Blick auf gesellschaftliche Ausgrenzungen richtet: das Leben der „Perversen“ am Rand. So werten sie das erhöhtes Suizidrisiko von queeren Jugendlichen als Konsequenz ihren perversen Lebensstils. Dass der erhöhte psychische Druck dabei nicht durch ein Anders-Sein entsteht, sondern durch ein homo-und transfeindlichen Umfelds, liegt auf der Hand.

Drei von fünf Sechstklässler_innen verwenden „schwul“ oder „Lesbe“ als Schimpfwort. Die Hälfte der Schüler_innen macht sich über Mitschüler_innen lustig, wenn diese sich nicht geschlechtskonform verhalten. Das zeigt eine Berliner Untersuchung in allen Schulformen. Auf Frankfurter Schulhöfen sieht es nicht anders aus. In einer Umgebung von verbalen und körperlichen Angriffen ist es nicht verwunderlich, dass queere Jugendliche selten sichtbar sind. Obwohl jede_r 10. Oberschüler_in das gleiche Geschlecht begehrt, wissen nur 1 Klassenlehrer_in von 14 Kolleg_innen, dass in ihrer Klasse eine nicht-heterosexuelle Person sitzt.

SUQ-Transpi und Schilder für die Demo
SUQ-Transpi und Schilder für die Demo

Hetero Jugendliche müssen sich übrigens nicht outen. Sie machen vermeintlich alles richtig: richtige Mädchen schwärmen für Jungs, und richtige Jungs reißen Mädchen auf. In einem System, in dem richtig oder falsch das herrschenden Ordnungsprinzip ist, ist es verständlich, warum niemand sich traut, solche Rollen in Frage zu stellen.

Am meisten fürchten sich Jugendliche vor einer Ablehnung durch Freund_innen und Familienmitglieder und vor Mobbing in Schule und am Arbeitsplatz. Die „Demo für alle“ und ihre Minions schaffen dieses gesellschaftliche Klima. Bildung und Familie sind die Orte, an den gesellschaftlicher Machtverhältnisse eingeübt werden, deshalb ist es Rechten, Klerikalen und Konservativen so wichtig, sie im Sinne ihrer Ideologie formen zu können.

Zeigen wir ihnen, dass ihre Ideen von Gesellschaft und Schule nicht so einfach laufen. Geben wir ihnen weder die Straße, Congresszentren noch die Bildung! Denn wir haben die besseren Ideen für eine solidarische Gesellschaft für alle. 

Wir sind solidarisch, unaufgefordert und queer!